naya_text1„Menschen machen Orte“, sagt Ludwig Lehner, mit dem ich an einem Samstag Mitte Oktober im Naya auf Büyükada sitze, im wunderschönen Garten, in luftiger Laube .

Ich scherze: „Es ist nicht der garden of Allah, es ist der garden of Naya!“

Es ist eigentlich Sommer in Istanbul in der Woche um den 15. Oktober, als ich dort bin. Auch die Einheimischen sagen, das sei ungewöhnlich für Mitte Oktober.

Mittlerweile so fromm und frei wie Pippi Langstrumpf, kreiere ich mir meine Realität und sage mir: mit dieser Sommerwoche im Herbst hat mich Istanbul begrüßt, die Stadt am Marmarameer, die einzige Stadt auf zwei Kontinenten, hippe Stadt am Horn, um mit mir zu flirten und mich sofort für sich einzunehmen ..

Nun , das ist gelungen, und ich war ziemlich schnell rumzukriegen, glaube ich, nach langen, festen Beziehungen mit Rom und Barcelona.

Meinen Wohnort Köln habe ich verlassen am 15. Oktober morgens früh mit meiner Winterdaunenjacke , und nun lasse ich wie eine Profistripperin ein Hemd nach dem anderen fallen, um dann im orangen Unterhemd ( Farbe bekennen muss sein) in der Sonne zu sitzen, auf meinem Schoss eine von Fenerbahces Töchtern, die mit dem rötlichen Fell, ich taufe sie intuitiv Ophelia.

Ophelia ist jetzt 3 Wochen alt, und kann auch als Baby schon diese wunderbare Schnurrfrequenz hinlegen, die mir sagt, dass sie sich wohl fühlt auf meinem Bauch.

 

Ich bin froh, dass ich mich aufgemacht habe, wie viele Einheimische am Wochenende auf eine der Inseln vor Istanbul gelegen. Büyükada ist die größte der Prinzeninseln. Die Inseln haben eine interessante Geschichte. Einst waren die Prinzeninseln von Mönchen bewohnt, und von Klöstern überzogen, sie waren aber auch mal Orte der Verbannung gerade in byzantinischer Zeit , wo unliebsame Personen, Prinzen und Prinzessinnen, in Ungnade gefallene Mitglieder der kaiserlichen Familie und Minister aus Byzanz entfernt und auf den Inseln in Mönchszellen gesteckt wurden oder man noch Schlimmeres mit ihnen machte. In der Spätzeit des osmanischen Reiches entdeckten dann die Wohlhabenden die Inseln als Rückzugsort und bauten herrschaftliche Sommerresidenzen.

Ludwig Lehner sagt, er ist eigentlich zufällig auf dieses Haus hier gekommen, vor circa 4 Jahren, eigentlich wollte er ein Objekt auf Gökceada in der Ägaeis anschauen. Das hat dann nicht geklappt, und dann habe eine Freundin gesagt, warum nimmst du nicht mein Haus auf Büyükada. Und seit 4 Jahren gestaltet er nun das Naya mit einer türkischen Geschäftspartnerin. Es war ziemlich verrottet vorher, wir haben viel eingebaut und renoviert, aber es hat sich gelohnt wie du siehst.

Und so kam es dann: Ludwig hat den Ort Naya genannt, was in Sanskrit Wahrheit bedeutet. „Was ist Wahrheit?“, frage ich ihn. „Wahrheit ist relativ“, sagt Ludwig, „wir leben hier auf einer Bewusstseinsebene im Wachzustand, wir kennen nur den Wachen Zustand oder den Schlafzustand, aber eigentlich gibt es ja acht Bewusstseinszustände.

naya_text3Das was wir als Wahrheit empfinden, ist nur eine Wahrheit…“ Dann sei das hier wohl seine Wahrheit, sage ich, so wie er sich im Wachen ausdrücken möchte… Ludwig macht einen Sprung( gedanklich) und entgegnet mir:

„Eigentlich geht es um Liebe.“ Liebe sei eigentlich die ganze Essenz des Lebens, und vielleicht ist Liebe auch die Wahrheit an sich. .Ich nicke und Ophelia auf meinem Bauch scheint mir auch zuzustimmen, da sie gerade besonders intensiv babyschnurrt. Alles was du mit Liebe machst, egal was, ob du einen Fußboden schrubbst, kochst , egal was, wenn du es mit voller Aufmerksamkeit machst, dann ist es keine Arbeit, dann ist es celebration of beauty, und Liebe.

„Das ist eigentlich die Essenz von allem, lass es uns kurz machen das Interview“, sagt Ludwig und wir lachen…..

„Wir geben hier den Raum, dass du sein kannst, wie du bist, wir zwängen hier nichts irgendwo rein, alles soll so sein, wie es ist, eigentlich ist das hier ein Kraftort und gleichzeitig fällt hier jeder auf sich zurück.“ „Ihr integriert hier auch alle Wesen“, füge ich hinzu, „das finde ich sehr schön.“

Ein Ort, wo auch Familie Ivan( Igelfamilie) zu Hause ist sowie eine große Katzengemeinschaft. Herausragend Queen Mum Molly , die am längsten im Naya lebt, die Yogakatze Leyla, die sich auf Yogaretreats spezialisiert hat, und wie gesagt Fenerbahace, die soeben erst wieder Mutter geworden ist von 5 entzückenden farblich sehr unterschiedlichen Kindern:

Galata Serail, Besiktas, Ophelia, Mephisto, Melek und auch Adoptivkind Seytan ist noch zur Kinderschar dazugekommen. .

Die Enten Ayse und Hamdi thronen etwas oberhalb im Teich. Efe, das 6 Monate alte Hundebaby, ist noch immer der jugendlich naiven Ansicht, die Katzenbabys wären seine Freunde und er macht ihnen diverse Avancen zum Spielen . Aber die kleinen Katzenbabys bekommen schon ihren Buckel und fauchen den Babyhund mit ihrem Babykatzenfrauchen an, …naja, vielleicht ist es auch nur das spielerische Imitieren von Muttern, denn ganz so ernst nehmen sie sich selbst dann doch nicht …

naya_text2In einem durchgestylten Hotel gäbe es das ja nicht, da sind die anderen Wesen mehr oder weniger außen vor, aber das Naya ist ja auch kein Hotel, sondern es ist einfach ein bewusster Ort, ein Ort des Bewusstseins denke ich, an den ich hinkommen und sein kann, deshalb sind herkömmliche Hotelbewertungsmaßstäbe nicht der Weg, das Naya zu beschreiben. Bei Tripadvisor habe ich in einer Bewertung gelesen, es erinnerte etwas an die Villa Kunterbunt. Das sind dann schon Assoziationen, die würden eher greifen.

„Deshalb möchte ich hier auch kein durchgestyltes Anwesen“, sagt Ludwig, „ich liebe die Kontraste, ich möchte ein Biotop, ein bisschen verwilderter Garten, dann kommen auch sofort die Bienen wieder, was sind wir ohne Bienen, wenn die aussterben, dann stirbt die Menschheit und wir teilen uns alle diese Erde. Die Tiere haben den gleichen Herzschlag wie wir und haben genauso ein Recht auf diese Erde wie wir und waren sogar vor uns da… Das müssen wir respektieren und sie ARBEITEN AUCH NOCH FÜR UNS“, sprudelt es aus Ludwig heraus.

„Die Tiere haben zumindest genauso ein Bodenrecht wie wir“, entgegne ich im Einvernehmen. „Das ist kein Konzept“, sagt Ludwig, „sondern das ist normaler Menschenverstand, das man respektvoll miteinander umgeht und die Dinge, die man vorfindet, auch pflegt.

Alle wollen Swimmingpools in den Hotels, ich habe einen Schwimmteich mit 200 Fischen, die leben schon 4 Jahre da drin, nimm mal einen Fisch und tue ihn eine halbe Stunde in den Swimmingpool, dann ist er tot. In diese Pools gehen wir rein und meinen, es wäre gut. Mein Teich ist zwar grün, aber das ist doch egal, also da ist doch was falsch an unserer Denke …

Ich filtere das Wasser über ultraviolettes Licht, es hat Sandfilter und kommt super klar zurück, es hat einen Umlauf, das mit der Biogasanlage hat leider nicht funktioniert, da experimentiere ich weiter, denn nur von unseren Speiseabfällen klappt das nicht…wir haben ein solarbetriebenes Heiß-Wassersystem, und als nächstes möchte ich die Stromerzeugung angehen. Wir haben hier einen guten Bürgermeister, der unterstützt das alles, der liebt uns und dass ist absolut wichtig.

Und so ein Ort zieht dann auch immer die richtigen Leute an, da muss ich gar nicht groß Werbung machen, es finden sich immer die richtigen Leute und gleichen Vögel…

Zum festen Team des Naya gehören Rizan, die türkische Geschäftspartnerin, Micky, die den Gastbereich managt, Vural, der tagsüber mit managt, immer wieder Praktikanten, die eine Weile ins Naya kommen, und eben die vielen tierischen Anwohner dieser Wesenskommune. Ach ja, und wenn es mal eine Notsituation gibt, wie kürzlich mit dem Fohlen, das von der Mutter verstoßen wurde, und man nicht wusste, ob es überlebt, das hat man im Naya kurzerhand aufgenommen, eine kleine Koppel hergerichtet und es hat sich prächtig entwickelt und wird bald auf einen Pferdehof kommen zu anderen Pferden.

Was mir gefällt ist diese spontane Energie, aus der sich der Tag kreiert mit den Menschen im Naya, den Gästen, Man frühstückt und isst gemeinsam zu Abend, an einem riesigen Holztisch, der sicher, schätze ich, 30 Leute empfangen kann. Es ist wie in einer Großfamilie für die Dauer des Aufenthalts und man isst (natürlich) vegetarisch.

Nicht ein Ort macht die Menschen, sondern die Menschen machen den Ort“, sagt Ludwig. „Man ist immer dann erfolgreich, wenn man zu sich steht und nicht etwas nachmacht, sondern seinen ganz eigenen Ausdruck von Schönheit kreiert, jeder hat seinen ganz eigenen Ausdruck, ich sage nicht, das meiner der beste ist, aber es ist eben mein Ausdruck, das ist wichtig. Zum Beispiel mag ich es nicht, wenn ich auf etwas festgelegt werde, deshalb ist es mir ein Anliegen eben nicht nur spirituelle Leute hier anzuziehen, sondern bunt und offen zu sein. Wir sitzen doch alle im gleichen Boot, keiner ist da besser oder schlechter…es finden sich doch sowieso immer die richtigen Leute zusammen am richtigen Ort…“

Ophelia ist von ihrer Schnurrschlafphase erwacht und fährt beim Strecken kurz ihre Babykrallen aus. Ich nehme sie sanft und setze sie aufs Kissen, um mich selbst mal gemütlich in der Sitzecke auszustrecken. Der quirlige Ludwig springt auf, um 3 neue Gäste zu begrüßen. Die Kinder fliegen ihm schon entgegen, man kennt sich bereits ….

Das Naya hat Platz für insgesamt 20 Gäste, es können weitere in der Nachbarschaft untergebracht werden . Kinder sind sehr willkommen, es eignet sich auch wunderbar für kleinere Seminare und Workshops ,kombiniert mit einem Kultururlaub. Und Ludwig selbst zeigt den Gästen sein Istanbul. Er hat über viele Jahre dort Tünel Art geleitet und viele internationale Künstlergruppen nach Istanbul gebracht.

©Ute Maria Lerner 2012